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Worte? Worte. Worte! Über inklusive Sprache

Anna Szlęk
Trainerin für non-formale und interkulturelle Bildung

Wie groß ist die Bedeutung von Worten?

Um zu zeigen, worum es in diesem Artikel geht, schlage ich dir ein kleines Experiment vor: Schließe deine Augen für einen Moment und stelle dir einen Bankdirektor vor. Also die Körperform, die Größe, den Gesichtsausdruck, die Kleidung und die Schuhe. Fertig? Wer ist da in deinem Kopf aufgetaucht? Die Chance ist groß, dass es, auf Grund der Beschreibung, ein Mann war. Auf Deutsch und auch auf Polnisch nimmt man an, dass männliche Formen (wie Schüler, Lehrer, Dolmetscher, oder polnisch uczeń, nauczyciel, tłumacz) nicht immer nur Männer (oder Jungen) bezeichnen, sondern sich auch auf Menschen egal welches Geschlechts beziehen können. Wenn wir diese Formen nutzen, können wir uns also auf alle Menschen beziehen, auch auf Frauen. Die Sache ist nur, dass es, ob man will oder nicht, manchmal schwieriger ist, sich Frauen vorzustellen, wenn man männliche Formen als universell benutzt. Das ist besonders bei Berufen der Fall, die traditionell von mehr Männern ausgeübt wurden. Wenn ich dich jetzt bitten würde, das Experiment zu wiederholen und dir diesmal einen Biologielehrer vorzustellen, würdest du dir vielleicht auch einen Mann vorstellen, obwohl in Deutschland die meisten Menschen, die diesen Beruf ausüben Frauen sind. Ganz abgesehen davon, dass es auch Menschen gibt, die weder Mann noch Frau sind, und die sich somit in keiner dieser Kategorien wiederfinden. 


Sprache schafft die Realität, in der wir leben. Deshalb wäre es doch super, wenn wir sie so beschreiben könnten, und solche Worte verwenden könnten, dass sich alle Menschen in der Gesellschaft gleich behandelt und gleichermaßen repräsentiert fühlen. Das betrifft auch Jugendbegegnungen, die eine Chance bieten, einen gleichberechtigten Raum für alle jungen Leute zu schaffen, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht, ihrer gesellschaftliche und ethnischen Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität, ob sie gläubig sind oder nicht, ihrem Weltbild oder ihren Überzeugungen. Die Herangehensweise, bei einem Austausch alle einzubeziehen, sollte sowohl durch Taten (also Aktivitäten und Methoden) umgesetzt werden, als auch dadurch, dass wir inklusive Sprache verwenden, also eine Sprache, die alle einbezieht, die frei ist von jeglichen Vorurteilen, Stereotypen oder Anspielungen. Das betrifft nicht nur die Nutzung von männlichen, weiblichen oder neutralen Formen, sondern auch Begriffe, die z.B. auf Hautfarbe, soziale Klasse oder eine Behinderung hinweisen. Wie wir so eine Sprache nutzen können (mit Beispielen) wurde im Artikel „Subjektivität“ erläutert.


„Früher war das einfacher…“

Mag sein. Sprache hat sich schon immer weiter entwickelt, aber das, womit wir groß geworden sind, scheint uns das „Normale“ und Einfache zu sein. Für die meisten von uns war es wahrscheinlich auch einfacher, dass die Welt uns binär erschien, mit klar definierten Regeln, die keine Überlegungen erforderten. Die Realität verändert sich aber ständig, und Konzepte wie Geschlecht oder sexuelle Orientierung haben sich deutlich erweitert. Was früher eine einfache Kategorie war (Frau – Mann; heterosexuelle Person – homosexuelle Person – bisexuelle Person), ist heute ein Spektrum verschiedener Optionen. Wir haben auch neurodiverse Menschen um uns, deren Existenz vielen von uns noch vor kurzem nicht bewusst war und die die Realität anders wahrnehmen, als allgemein als „normal“ angenommen wird. In unserer Nähe leben jetzt mehr Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe oder mit für uns fremder Kleidung. Wir können darüber sprechen, aber wir können dabei versuchen, die Worte zu verwenden, mit denen sich diese Menschen selbst bezeichnen. Wir wissen immer mehr darüber, wie Diskriminierung funktioniert und wie viele Gruppen und Einzelpersonen in der Gesellschaft davon betroffen sein können. Die Sprache, mit der einige von ihnen früher beschrieben wurden, und die Art und Weise, wie manchmal mit ihnen gesprochen wurde – obwohl sie als Norm galt – ist heute schwer akzeptabel. Das liegt daran, dass wir zunehmend sensibler und bewusster dafür werden, wie verletzend und ausgrenzend Worte sein können. Wir können das ändern, auch im kleinen Rahmen, indem wir während eines Austausches mit jungen Menschen einen inklusiven Raum schaffen. Bei der Umsetzung eines solchen Ansatzes wird es jedoch schwierig sein, bei den „alten“ Formen und Ausdrücken zu bleiben, aufgrund ihrer Unangemessenheit. Deshalb brauchen wir eine neue Sprache, um die sich verändernde Realität zu beschreiben.


„Das ist schwierig und langwierig, außerdem klingen diese Wörter irgendwie seltsam…“

Ja, das stimmt. Veränderungen im Leben, ganz egal in welchem Bereich, erfordern Aufwand, Zeit und Energie, manchmal auch Geld. Das gilt auch für den Versuch, eine neue Sprache zu verwenden. Das ist keine einmalige Entscheidung und Handlung, sondern ein Prozess – einerseits muss man sich Formen abgewöhnen, die man immer als natürlich empfunden hat, andererseits muss man neue Ausdrücke und Wendungen lernen und dann auch noch daran denken, sie zu verwenden. Das kann frustrierend sein, besonders wenn wir uns dabei erwischen, dass wir trotz guten Willens wieder zu alten Begriffen zurückgekehrt sind.

Das Erlernen neuer Wörter kann auch durch ein Gefühl von Fremdheit erschwert werden, das einige von ihnen in uns hervorrufen. Das ist natürlich. Es ist wichtig zu bedenken, dass Sprache ein lebendiges Wesen ist, das sich gemeinsam mit der sich verändernden Realität verändert. Um das zu verstehen reicht es, sich anzuschauen, wie das Deutsche in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts geklungen hat, und wie viele damals übliche Wörter es jetzt nicht mehr in unserem Wortschatz gibt (wie zum Beispiel: „Backfisch”, „Trottoir”, „Muckefuck”, „Schwofen” oder „Griffelkasten”), und wie viele Formen zwar existieren, aber ganz anders verwendet werden.

Einige der Wörter, die früher im Deutschen benutzt wurden, würden uns heute seltsam und vielleicht lustig erscheinen. Das zeigt, dass das Fremde das ist, was wir nicht kennen und nicht verwenden. Außerdem sind in den letzten Jahrzehnten viele neue Wörter im Zusammenhang mit sich dynamisch entwickelnden Lebensbereichen wie Wirtschaft, Medien oder Informatik aufgetaucht. Einige von ihnen schienen anfangs auch fremd und schwierig, wie auf Deutsch „Handy“ oder „Cloud“ und auf Polnisch „weekend“ (Wochenende) oder „kablówka“ (Kabelfernsehen). Aber mit der Zeit sind sie in den alltäglichen Gebrauch übergegangen, und wir können uns unseren Wortschatz ohne sie nicht mehr vorstellen.

Vielleicht erinnert ihr euch an die Diskussion, als Angela Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde, die erste Frau in dieser Position, so dass bis dahin auch keine weibliche Form des Wortes „Kanzler“ existierte. Heute ist für alle klar, dass die weibliche Form „Kanzlerin“ ist. Die Menschen haben sich an Angela Merkel gewöhnt und ebenso an die Bezeichnung ihres Amtes. Die Welt verändert sich, und wir verändern uns mit ihr. Was heute noch seltsam und unüblich erscheint, wird mit der Zeit zur Norm. Es genügt, wenn wir unsere Empathie nutzen, um den Wert inklusiver Sprache zu erkennen und versuchen, sie Schritt für Schritt in unserem Alltag anzuwenden. Neue Wörter werden dann schnell genauso natürlich wie alle anderen, die wir täglich verwenden. Bei der Wahl des Jugendwortes des Jahres wundern sich jedes Jahr (ältere) Menschen über die Sprache, die Jugendliche verwenden. Wenn wir uns ansehen, welche Wörter in den letzten Jahren gewählt wurden, erscheinen einige von ihnen heute weder lustig noch modern, und andere kennt niemand mehr (zur Auswahl standen beispielsweise „geil“, „krass“, „Tussi“, „cringe“, „woke“ oder „ghosten“).


Geben wir uns Zeit und Raum

Inklusive Sprache, mit vielen neuen Wörtern, bedeutet für die meisten von uns Unsicherheit. Es ist unklar, welche Ausdrücke korrekt sind und ob wir sie richtig verwenden. Um Frustration zu vermeiden, ist es sinnvoll anzunehmen, dass die meisten von uns neu lernen müssen. Deshalb ist es völlig ok, Zweifel zu haben und Fehler zu machen. Sie werden sicherlich auftreten, denn Veränderungen erfordern Zeit, aber sie schaffen auch Raum für Begegnung. Wir können uns darüber austauschen, wie andere Menschen Wörter empfinden, denn es geht ja nicht um eine Zensur unserer Sprache, sondern darum, auf andere einzugehen. Auch im DPJW lernen wir weiter und bemühen uns, dass die Sprache, die wir in Schulungen, Treffen oder Veröffentlichungen verwenden, so inklusiv wie möglich ist. Darüber hinaus aktualisieren wir bei der Überarbeitung von Methoden aus früheren Jahren die darin verwendeten Ausdrücke, damit sie so inklusiv wie möglich sind und natürlich auch geschlechtsneutral. Das ist immer wieder eine Herausforderung, denn manchmal bedeutet das Ersetzen einer alten Form durch ein neues Wort, dass Änderungen in mehreren folgenden Sätzen vorgenommen werden müssen. Außerdem verlängert gendergerechte Sprache manchmal den Text: Im Polnischen ist das noch komplexer als im Deutschen, denn hier haben auch die Verben manchmal unterschiedliche Formen, je nachdem, auf welches Geschlecht sie sich beziehen.

Wir sind uns des Aufwands bewusst, gleichzeitig wissen wir aber, dass wir durch den Einsatz von inklusiver Sprache in unseren Begegnungen, Schulungen und Veröffentlichungen die Chance erhöhen, dass sich alle Menschen, unabhängig von Geschlecht oder anderen Merkmalen, angesprochen fühlen. Auf diese Weise wird unsere Sprache zu einem Werkzeug der Verständigung, und wir sehen darin einen großen Wert. Deshalb freuen wir uns, wenn du gemeinsam mit uns diese Sprache gestaltest. Schritt für Schritt können wir, mit Verständnis für uns selbst und andere, unseren Wortschatz um neue Begriffe erweitern. Denn wenn wir annehmen, dass Sprache uns und unsere Realität prägt, haben wir die Gelegenheit, diesen, wenn auch kleinen Teil der Welt, in der wir leben, zu einem besseren Ort zu machen.


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