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Vielfalt im Austausch: Die Entdeckung bekannter und unbekannter Welten

Anna Szlęk
Trainerin für non-formale und interkulturelle Bildung

Ähnlichkeitem und Unterschiede

Beginnen wir mit einem kleinen Experiment: Stell Dir vor, die Welt wäre an jedem Ort gleich und die Menschen, die dort leben auch – alle sehen gleich aus, reden gleich und verhalten sich gleich. Was kommt Dir in den Sinn? „Wow, wie toll!“, oder eher „Oje, wie langweilig!“? Auch wenn uns manchmal scheinen mag, Gleichheit bringe nur Vorteile, wäre eine in jeder Hinsicht gleichartige Welt doch ziemlich uninteressant und wenig anregend. Viele Dinge hätten keinen Sinn mehr – Reisen zum Beispiel, denn wozu irgendwo hinfahren, wo es genauso ist, wie bei uns? Noch schlimmer wäre es mit dem Essen, denn gäbe es keine Unterschiede, bliebe uns die Entdeckung neuer kulinarischer Genüsse und das Vergnügen daran gänzlich versagt.


Ähnlichkeit hat den Vorteil, dass sie ein Gefühl von Sicherheit vermittelt – manchmal ist es einfacher, in einer Welt ohne Überraschungen zurechtzukommen. Gleichzeitig wäre unser Leben ohne die Möglichkeit, Neues und Anderes zu entdecken, repetitiv, eintönig und vorhersehbar. Und damit kommen wir zum Kern der Sache: Unterschiede, auch wenn sie manchmal eine Herausforderung darstellen, sind notwendig, denn sie ermöglichen es uns, Unbekanntes zu erforschen und voneinander zu lernen.


Das ist nicht immer einfach, und manchmal gehen die erklärte Bereitschaft für das Andere und Realität auseinander. Hierbei können verschiedene Mechanismen eine Rolle spielen (z. B. Angst vor dem Anderen, Ethnozentrismus, stereotype Vorurteile), die unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflussen, auch wenn wir uns dessen selten bewusst sind. Die gute Nachricht ist: Es ist möglich, daran zu arbeiten: zu lernen zuzuhören, andere Standpunkte und Perspektiven zu akzeptieren, kognitive Neugierde zu entwickeln – so dass Andersartigkeit Neugier statt Angst und Abneigung weckt. Dies sollte jedoch ein bewusster und geplanter Bildungsprozess sein – interkulturelle Jugendbegegnungen sind ein Instrument, das diesem Zweck dienen kann.


Vielfalt – Chance oder Last?

Vielfalt ist ein äußerst komplexes Thema, denn es betrifft all die Eigenschaften, die uns zu dem machen, was wir sind. Dazu gehören Geschlecht und Alter, ethnischer und sozialer Hintergrund, Nationalität, Aussehen, Hautfarbe, körperliche Fähigkeiten, Gesundheitszustand, sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit oder Konfessionslosigkeit, Weltanschauung und Überzeugungen. Mit dieser Bandbreite an unterschiedlichsten persönlichen Eigenschaften ohne Vorbereitung in Berührung zu kommen, kann zu unangenehmen Überraschungen führen. Das gilt sowohl für die jungen Teilnehmenden einer Begegnung als auch für uns als Projektteam. Wo also sollten wir anfangen? Am besten bei uns selbst. Wie ist unsere Wahrnehmung von Vielfalt: Betrachten wir sie eher als einen wichtigen Teil der Realität oder als ein Problem, mit dem wir umgehen müssen? Und: Wenn wir erklären, dass wir Vielfalt ernst nehmen, finden wir in unserem alltäglichen Handeln auch tatsächlich Raum dafür. Was tun wir, wenn es Teilnehmende gibt, die sich nicht aus medizinischen, sondern aus ethischen Gründen für eine vegane Ernährungsform entschieden haben? Nehmen wir Rücksicht auf ihre Bedürfnisse, gehen wir mit der Gruppe den Speiseplan noch einmal durch und nehmen neue Gerichte auf? Oder denken wir: „Schon wieder so eine Modeerscheinung“, fügen als Kompromiss jeden Tag Pommes frites als Gericht hinzu und träumen von einem Austausch, bei dem alle das Gleiche essen und sich weitere Gedanken über den Speiseplan erübrigen? Ob es uns gefällt und ob wir uns darauf vorbereitet fühlen oder nicht: Die Welt und die Realität um uns herum sind und werden immer vielfältiger. Wenn wir nicht lernen, die Vorteile daran zu erkennen und mit den Herausforderungen umzugehen, können Austauschprojekte für Jugendliche, die alle unterschiedlichste Eigenschaften und Bedürfnisse mitbringen, zu einer frustrierenden Erfahrung werden. Für uns genauso wie für sie. Die Checklisten „Vielfalt bei Jugendbegegnungen“ und „Gleichbehandlung im Austausch“ können uns als Leitungsteam bei der Planung einer Begegnung unterstützen.


Vielfalt in uns und um uns herum erkennen

Wie also lassen sich gute Voraussetzungen für eine sichere und offene Begegnung mit dem Anderen schaffen? Ein Ansatz könnten Angebote für die jungen Menschen sein, mit denen wir es täglich zu tun haben – Angebote, die es ihnen ermöglichen, ihre eigene Vielfalt wahrzunehmen und zu erkennen, dass hinter ihrer scheinbaren Ähnlichkeit sehr unterschiedliche Wertesysteme, Erfahrungen, Interessen, Vorlieben, Standpunkte, Bedürfnisse und Träume stehen können. Dies lässt sie Vielfalt, auch wenn diese auf den ersten Blick nicht immer sichtbar ist, als einen natürlichen Zustand jeder Gruppe von Menschen begreifen (sogar im Falle einer Gruppe von Gleichaltrigen aus einer Stadt, einer Schule und einer Klasse). Der pädagogische Wert dieses Prozesses besteht darin, dass die Jugendlichen ein Verständnis dafür entwickeln, dass jeder Mensch einzigartig ist und unterschiedliche Dinge in die Gruppe einbringt – und dass es Zeit und Beziehungsaufbau braucht, um dies herauszufinden.

Der nächste wichtige Schritt ist die Wahrnehmung der Vielfalt in anderen. Dies ist essenziell, denn während es uns gelingt, die individuellen und einzigartigen Merkmale der Mitglieder einer Gruppe zu benennen, der wir selbst angehören und als deren Teil wir uns begreifen (z. B Deutsche oder Einwohner/-innen der Stadt, aus der wir kommen, im Gegensatz zu denen aus einer anderen Stadt), so scheinen uns Menschen aus anderen Ländern oder von anderen Kontinenten einander häufig sehr ähnlich oder gar nicht zu unterscheiden zu sein. Je weiter die geografische und kulturelle Entfernung einer Gruppe, je schwerer fällt es uns wahrzunehmen, dass sich die Personen, die ihr angehören, auf vielfältige Weise unterscheiden. Wenn wir lernen, Vielfalt in unserem eigenen Umfeld auszumachen und sie als natürlichen Zustand zu begreifen, wird es uns leichter fallen, sie bei anderen zu erkennen und zu akzeptieren. Dann hört die Gruppe aus Polen (oder einem anderen Land) auf, eine einheitliche Masse mit bestimmten stereotypen Eigenschaften zu sein, die wir ihr auf die Schnelle zuschreiben.

Stattdessen erkennen wir, dass jedes einzelne Mitglied einer Gruppe etwas auszeichnet. Von der Ebene „Menschen aus Deutschland – Menschen aus Polen“ (oder anderen Ländern) wechseln wir auf die persönliche Ebene und individuelle Eigenschaften, Erfahrungen und Bedürfnisse. Es fällt uns leichter, Beziehungen aufzubauen, denn wir erkennen, dass uns trotz unterschiedlicher Herkunft viel verbindet. Die ganze Bandbreite unterschiedlicher Eigenschaften der einer anderen Gruppe angehörenden Personen vor Augen, macht es uns schwerer, verallgemeinernde Aussagen wie „Alle Menschen aus Polen sind …“ zu treffen. Aus pädagogischer Sicht bedeutet das einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit Stereotypen, also mit vereinfachten (und meist unzutreffenden) Bildern einer Gruppe oder mehrerer Gruppen von Menschen: Welche Stereotype haben wir, wie entstehen sie und wie beeinflussen sie die Beziehung zwischen einzelnen Gruppen? Ein naheliegender Gedanke ist, dass der persönliche Kontakt zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu einer natürlichen Annäherung führt. Dies ist jedoch nicht selbstverständlich. Vielmehr können kulturelle Unterschiede, vor allem wenn wir nicht darauf vorbereitet sind, leicht Stereotype auslösen und diese in unserem Denken verankern. Deshalb ist die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen so wichtig, die sie ermutigt, andere Perspektiven, Lesarten und Umgangsweisen mit der uns umgebenden Realität wahrzunehmen und anzuerkennen. Auf diese Weise werden Ängste vor dem, was anders ist, abgebaut und der Weg für auf Neugier und Respekt beruhende interkulturelle Beziehungen geebnet. Und genau darum geht es bei Jugendbegegnungen.


Vielfalt als Herausforderung

Vielfalt kann unser Leben bereichern, aber, wie so vieles andere im Leben, kann sie auch Frust auslösen. Dann zum Beispiel, wenn uns das Bewusstsein dafür fehlt, dass andere Menschen die Welt vielleicht anders sehen als wir, und wir uns darüber ärgern. Oder wenn um uns herum so viel Anderes ist, dass wir Schwierigkeiten haben, dies kognitiv zu verarbeiten, und wir uns deshalb müde und entmutigt fühlen. Vielfalt nur in einem guten Licht darzustellen, kann umso frustrierender sein, je mehr unsere selbst erklärte Offenheit gegenüber dem Anderen und Realität auseinandergehen.

Wissen schützt nicht vor Emotionen. Weder Ratgeber oder psychologische Abhandlungen noch Filme über ein Land und seine Kultur werden uns auf das vorbereiten, was wir dort erleben. Deshalb ist es ratsam, mit den Austauschteilnehmenden schon vor einer Begegnung entsprechende Themen aufzugreifen, einerseits damit sie sich der positiven Aspekte von Vielfalt bewusst werden, andererseits aber, um sie darauf vorzubereiten, dass die Entdeckung von Vielfalt manchmal ermüdend und entmutigend sein kann. Die Jugendlichen sollten wissen, dass es in Ordnung ist, ganz unterschiedliche Gefühle und Emotionen zu erleben und sie zu benennen. In einem geschützten Raum lernen sie Wege des Umgangs mit dem, was sie bedrückt, vor dem sie sich fürchten oder was sie wütend macht. Das wird ihnen helfen, ihre eigenen Bedürfnisse zu verstehen und Empathie für die Bedürfnisse anderer zu entwickeln. Uns gibt das die Möglichkeit, eines der wichtigsten, aber auch schönsten pädagogischen Ziele des Jugendaustauschs zu verwirklichen: einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis zwischen Menschen und Gruppen zu leisten. Indem wir Offenheit für das Andere schaffen und die Chancen aufzeigen, die sich aus bestehenden Unterschieden ergeben, bereiten wir junge Menschen auf die Welt in der wir Leben vor, in der Vielfalt, Mobilität und Wandel unseren Alltag bestimmen – und uns mit Sicherheit auch in der Zukunft begleiten.


Empfehlungen für die Arbeit zum Thema Vielfalt:

  • Bei internationalen Jugendbegegnungen ist zu bedenken, dass die beteiligten Gruppen vielfältige Unterschiede aufweisen (Alter, Geschlecht, ethnischer und kultureller Hintergrund, sexuelle Orientierung, Behinderungen usw.).
  • Vor der Begegnung sollten sich sowohl die Mitglieder des Leitungsteams als auch die Teilnehmenden auf die Begegnung mit dem Anderen vorbereiten (Anregungen dafür bietet die Methodensammlung Ideenfundus).
  • Es ist ratsam, zunächst einen Raum für die Jugendlichen (einer nationalen Gruppe) zu schaffen, der sie erkennen lässt, dass sie eine in mehrfacher Hinsicht vielfältige Gruppe darstellen. Im nächsten Schritt sollten sie lernen, Vielfalt als einen natürlichen Zustand zu betrachten und ihre positiven Aspekte wertzuschätzen – z. B. andere und interessante Sichtweisen, Eigenschaften, Perspektiven und Erfahrungen als eine Chance zu betrachten, voneinander zu lernen (Anregungen dafür bietet die Methodensammlung Ideenfundus).
  • Die Jugendlichen sollten ermutigt werden, andere als Menschen mit einzigartigen Eigenschaften wahrzunehmen und nicht nur als Angehörige bestimmter (z. B. nationaler oder durch das Geschlecht bestimmter) Gruppen.
  • Wenn über die positiven Aspekte von Vielfalt gesprochen wird, sollten die Herausforderungen, die sie mit sich bringen kann, nicht unerwähnt bleiben.
  • Emotionen in Reaktion auf das, was uns unbekannt ist und Angst macht oder das uns schwerfällt zu akzeptieren, sollten zugelassen werden.
  • Die Jugendlichen sollten sich bereits vor der Begegnung mit dem Thema Stereotype auseinandersetzen – wie sie entstehen, wie sie unser Verhalten gegenüber anderen beeinflussen und wie wir einen Umgang mit ihnen finden können.
  • Es ist wichtig zu wissen, dass kulturelle Vielfalt für einige Menschen eine Herausforderung darstellen und Stereotype aktivieren kann. Diese Erkenntnis sollte Grundlage für die Organisation von Austauschprojekten sein.
  • Der Auseinandersetzung mit Stereotypen, die im Rahmen einer Begegnung auftauchen, aus dem Weg zu gehen, kann diese bei den Jugendlichen festigen und dazu führen, dass bei ihnen das Interesse schwindet, an weiteren Projekten dieser Art teilzunehmen.
  • Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Zeit und Aufmerksamkeit nötig sind, um andere Menschen kennenzulernen, aber auch dass auf diese Weise Stereotype vermieden werden können und eine gegenseitige Verständigung möglich wird.
  • Es muss genug Raum vorhanden sein, damit die Jugendlichen die Vorzüge von Vielfalt selbst erkennen und benennen können – so wird es ihnen leichter fallen, sie zu akzeptieren und wertzuschätzen.

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